Soziale Landwirtschaft braucht erfahrene Partner aus der Sozialen Arbeit!

Es gibt soziale Einrichtungen, die Landwirtschaft als Werkstatt für Menschen mit Behinderung oder als Integrationsfirma betreiben, und es gibt landwirtschaftliche Betriebe, die eigene soziale und pädagogische Angebote in ihr Tätigkeitsfeld integrieren. Eine wirklich kooperative Zusammenarbeit der Praxisfelder Soziale Arbeit und Landwirtschaft bildet bislang die Ausnahme.

Der ländliche Raum wird für jeden Menschen, der auf Unterstützung angewiesen ist, zu einem Problem. Jeder Einkauf, jede Freizeitaktivität, das Erreichen sozialer Angebote wird zu einer Konfrontation mit der eigenen Einschränkung. Mit der Folge, dass hier deutlich mehr Menschen mit Unterstützungsbedarf in Wohnheimen leben, in der Familie verbleiben oder eben in die Stadt ziehen, wo ihnen in einem umfänglicheren und zugänglicherem Maße Hilfen zur Verfügung stehen.

Diese Einschränkung wird sich nur überwinden lassen, wenn vorhandene Lebens- und Beziehungsräume aktiv und verbindlich in die Unterstützung von Menschen einbezogen und auch finanziert werden. Gemeint sind damit Nachbarschaften, Familien, Höfe, aber auch Kleinbetriebe. Eine solche Wendung käme dem gesellschaftlichen Leitmotiv der Inklusion, aber auch generell anstehenden Entwicklungen im ländlichen Raum entgegen.

Hof als sozialer Ort

In Niedersachsen haben sich dafür Profis der Sozialen Arbeit, Höfe und Familien zum Netzwerk Maßstab Mensch zusammengefunden. Im Zentrum dieses Netzwerkes ist ein Fachdienst tätig, der Höfe und Familien bei der Konturierung sozialer Angebote berät und aktiv begleitet. Was wollen und können Hof und Familie anbieten? Gemeinsames Wohnen, gemeinsames Tätigsein oder Arbeit? An wen richtet sich das Angebot? Entscheidend sind dabei weniger Diagnosen, als vielmehr die Fähigkeiten und Interessen der Menschen. Die Fachstelle Maßstab Mensch übersetzt die individuellen Angebote in die Logik und Sprache der Sozialen Arbeit und ihrer Finanzierungssysteme. Als verlässlicher Ansprechpartner für Menschen mit Beeinträchtigungen und für soziale Einrichtungen wird sie für diese, wie für Höfe und Familien zu einem wichtigen Faktor in der Zusammenarbeit. Die Fachstelle begleitet die Anbahnung und das gegenseitige Kennenlernen von Hof, Familie und Mensch mit Unterstützungsbedarf. Sie hilft bei der Antragstellung, übernimmt die Abstimmung und Verhandlungen mit den behördlichen Fachdiensten und entlastet damit Hof, Klient und Kostenträger. Denn diese neuen inklusiven Hilfsangebote müssen für alle verstehbar sein, um letztlich auch finanziert werden zu können. Die Fachstelle sichert zudem Qualitätsanforderungen, die an eine zeitgemäße Soziale Arbeit gestellt werden.

Aktuell kooperiert die Fachstelle Maßstab Mensch mit fünf Höfen, die jeweils sehr unterschiedliche Angebote machen: Zwei Gärtnereien unterstützen Menschen darin, sich nach psychischer Krise an Tätigkeiten auf dem Hof zu beteiligen. Eine Gärtnerei entwickelt in Kooperation mit der Fachstelle und der benachbarten Waldorfschule ein schulergänzendes Angebot für Kinder. Ein anderer Hof hat sich zu einem gemeinschaftlichen Wohn- und Arbeitsprojekt entwickelt und bietet zwei Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen ein unterstütztes Leben in der Familie. Dazu wurden entsprechende Miet- und Betreuungsverträge geschlossen. Zusätzlich bietet dieser Hof in Kooperation mit einer Werkstatt für behinderte Menschen fünf Außenarbeitsplätze in den Bereichen Land- und Hauswirtschaft an. Ein weiterer Hof macht individuell assistierte Urlaubsangebote für Menschen mit Beeinträchtigungen. Alle Angebote sind aus der Zusammenarbeit entstanden und werden von Kostenträgern im Rahmen von individuellen Einzelvereinbarungen finanziert.

Mit Unterstützung auf einem Hof leben

Wichtig ist, dass Hof und Familie natürlicher Lebensort bleiben, denn Menschen mit Beeinträchtigungen suchen immer mehr nach „normalen“ menschlichen Lebensräumen, in denen sie sich mit ihren Eigenschaften und Fähigkeiten einbringen können. Denn jeder Mensch hat neben dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung, auch das Bedürfnis, „durch das eigene Tun Bedeutung für Andere zu haben“ [1]. Höfe und Familien, die sich für Menschen mit Beeinträchtigungen öffnen, werden zu Mit- Ermöglichern von solchen Aktions- und Erfahrungsräumen. Die Fachstelle gestaltet für sie die Beziehung zum Hilfesystem mit dessen fachlichen Standards, Planungsinstrumenten und Entwicklungsverständnissen. Sie schützt damit Hof und Familie davor, sich in ihrem neuen Lebens- und Beziehungsraum zu sehr versachlichen zu müssen.

Eine Familie, ein Hof wird jedoch nie das gesamte Spektrum an Wünschen und Entwicklungsbedürfnissen eines Menschen befriedigen und sie sollen es auch nicht! Es gilt für Hof und Fachstelle immer wieder die Balance zwischen den Anforderungen zu finden, die der landwirtschaftliche Betrieb, die eigene Familie und die soziale Arbeit stellen und konkret zu gestalten. So kann es z.B. sinnvoll sein, externe Begleiter für Aktivitäten außerhalb des Hofes einzubeziehen.

Höfe als sozialer Organismus

Insbesondere bäuerliche Familien verfügen über vielfältige Erfahrungen, Menschen an ihren Lebens- und Arbeitsprozessen zu beteiligen, weil landwirtschaftliche Arbeit sehr eng mit dem Familienleben verbunden ist. Menschen mit Beeinträchtigungen, die mit auf dem Hof leben, können sowohl im gemeinsamen Tätig- Sein und Arbeiten als auch in der alltäglichen Lebensführung,Grundversorgung, und in der Gestaltung sozialer Beziehungen eine individuelle Unterstützung erfahren. Als eigene Stärken in der sozialen Arbeit nannten Hofbetreiber in einer Untersuchung[2] ihre wertschätzende und auf Verständnis gegründete Kontaktfähigkeit und Toleranz. Wichtig sei dabei jedoch, dass die ganze Familie dahinter stünde! Der tägliche Umgang mit Menschen fordert nämlich von allen Familienmitgliedern „eine hohe soziale Kompetenz, wie Geduld, die Fähigkeit, Beziehungen zu knüpfen und zu festigen, aber auch Grenzen ziehen zu können, ohne verletzend zu sein“.[3] Geeignet sind Familien, die die Übernahme der sozialen Aufgabe realistisch einschätzen und beurteilen und die Unterstützung annehmen können.

Neu ist die Idee nicht!

Viele Bundesländer haben das „Betreute Leben in Gastfamilien“ etabliert, das sich gut auf die Soziale Landwirtschaft beziehen läßt. In Baden- Württemberg sind es 95 professionelle Anbieter, die im Jahr 2016 1200 Begleitungen in Familien vorgenommen haben, in NRW sind es 60 Anbieter und in Bayern 31. Nur in Niedersachsen, Sachsen- Anhalt und Mecklenburg- Vorpommern gibt es dieses kooperative Betreuungsangebot bisher nicht.

Eine aktive Beteiligung von Familien, Höfen und Nachbarschaften in der sozialen Begleitung und Unterstützung von Menschen könnte auf eine vergleichbare Weise zu einem wirksamen und zeitgemäßen Entwicklungsfaktor im ländlichen Raum gestaltet werden –für Menschen, die hier mit Unterstützung leben wollen, für Höfe, Familien, Nachbarschaften, die verbindliche Unterstützungen anbieten wollen und für Anbieter sozialer Dienstleistungen, die ihre professionellen Fähig- und Fertigkeiten in dieses Beziehungsgefüge einbringen wollen.

Martina Rasch in LEBENDIGE ERDE, Zeitschrift für biologisch- dynamische Landwirtschaft, Ernährung, Kultur, Januar 2018


[1] Klaus Dörner: Leben und sterben, wo ich hingehöre, Dritter Sozialraum und ein neues Hilfesystem, PARANUS- Verlag, 2007, 18

[2] Rolf Emmenegger: Familienbetreuung im landwirtschaftlichen Umfeld, VDM Verlag Dr. Müller, 2009, 40

[3] Christine Schönberger, Peter Stolz: Betreutes Leben in Familien, Psychiatrieverlag 2003


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